Menü öffnen

Eine Handvoll Fragen an: Sandra Gilgan

Vorab zu Ihrer Person: Wer sind Sie und was machen Sie beruflich?

Sandra Gilgan: Mein Name ist Sandra Gilgan und ich leite seit 2018 die Geschäftsstelle der Bonner Allianz für Nachhaltigkeitsforschung, die an der Universität Bonn angesiedelt ist. In meinem Hintergrund in Chinawissenschaften, Philosophie und Kulturwissenschaft steckt eine Leidenschaft für verschiedene Sprachen und Geistestraditionen und die unterschiedlichen Blickwinkel, die sie auf die Welt ermöglichen. Diese Passion brachte mich schließlich in ein interdisziplinäres Forschungsnetzwerk, in dem sechs renommierte Forschungseinrichtungen daran arbeiten, gemeinsam Wissen und Kompetenzen für nachhaltige Entwicklung zu stärken.

Frage 1: Was bedeutet der Klimawandel für Sie persönlich?

Sandra Gilgan: Klimawandel bedeutet für mich Zeugin davon zu sein, was wir dabei sind zu verlieren – an Artenvielfalt, Biodiversität, Umweltqualität, und schließlich Lebensqualität. Gleichzeitig ist es für mich auch ein Zeichen, dass wir in vielen Bereichen enger zusammenrücken müssen, um gemeinsam dieses Verlieren aufzuhalten und mit bereits eingetretenen Folgen umzugehen. Auf internationaler Ebene müsste Politik sehr kooperativ zusammenarbeiten können. Leider zeigen uns akute Konflikte gerade das Gegenteil davon. Wissenschaftler*innen müssen interdisziplinär arbeiten und damit auch Karriere machen können. Momentan sind Karrierewege sehr disziplinär geprägt. Dozent*innen müssen Freiräume haben, um universitäre Lehre auf neue gesellschaftliche Herausforderungen einzustellen. Einiges ist da schon in Bewegung, und bei uns in der Bonner Allianz sitzen wir mit vielen klugen Köpfen zusammen, um zu schauen, wie wir in und zwischen den Institutionen agil und fruchtbar zusammenarbeiten können. Das macht auch viel Hoffnung.

Frage 2: Wie engagieren Sie sich für das Klima bzw. gegen den Klimawandel?

Sandra Gilgan: Ich bin Gemüse-Fan, Radfahrerin und Zugreisende – allerdings ursprünglich nicht als aktiv geplantes Engagement gegen den Klimawandel, sondern weil ich es mag. Dass hier Klima-Benefits drin sind, über die man als solche sprechen kann, hat sich erst in den letzten Jahren konkreter aufgetan. Als Kind habe ich das als „gesund“ und „sparsam“ gelernt. Und im fahrradfreundlichen Münster, wo ich aufgewachsen bin, ist die Leeze ohnehin präferiertes Fortbewegungsmittel. Ansonsten betreibe ich vermehrt „Second Hand-Konsum“ und im Freundeskreis tauschen und leihen wir viele Sachen. Beim Einkauf schaue ich, wo ich Plastikverpackungen vermeiden kann. Ich gehe mit dem Brotbeutel zum Bäcker und benutze Wachstücher statt Haushaltsfolie.

In meiner Arbeit geht es thematisch um Nachhaltigkeit und wie Forschung helfen kann, Herausforderungen in ihren Komplexitäten und Abhängigkeiten analytisch wie praktisch anzugehen, um nachhaltige Lösungen zu finden und auch Politik zu beraten. Da muss man sich mit dem Methoden-Baukasten, mit Theorien und der konkreten Praxis auseinandersetzen. Klimafreundlichkeit bzw. -neutralität ist für den Prozess Richtung mehr Nachhaltigkeit ein wichtiges Ziel. In der Bonner Allianz setzen wir Themen, machen Nachhaltigkeitsforschung sichtbar, arbeiten in Projekten und Arbeitsgruppen zusammen, wirken in die Politik, beteiligen uns in lokalen, regionalen und internationalen Projekten und Gremien. Der Fokus ist sehr diskursiv, und sehr lohnend. Viele Menschen wollen auf viele unterschiedliche Weisen abgeholt werden. Gleichzeitig freue ich mich sehr, wenn es Hands-On-Aktionen gibt, bei denen ich mitmachen kann, wie z.B. den Rhine Clean-Up. Die Stabsstelle Nachhaltigkeit der Universität Bonn hat letztes Jahr ein Uni-Team dafür organisiert. Gemeinsam etwas Gutes zu tun und das Resultat direkt zu sehen ist schon super. (Wobei der Berg an Müllsäcken, der in wenigen Stunden zusammenkam, kein schöner Anblick war.)

Frage 3: Was und wie würden Sie gerne lernen, um Ihre Zukunft gestalten zu können?

Sandra Gilgan: Ich hatte vor einigen Jahren die Möglichkeit, einen großartigen Menschen zu interviewen: Liu Shuxian (1934-2016), Vertreter des sog. modernen Neukonfuzianismus (da geht es z.B. um die Rolle konfuzianischen Gedankenguts für Chinas Moderne). Er sagte mir, dass das 21. Jahrhundert von zwei existentiellen Fragen geprägt sei: „Die erste Frage ist, ob die menschliche Spezies überleben wird; die zweite Frage ist, ob die Erde überleben wird.“ Er hat sein Leben der Suche nach dem Potenzial gewidmet, das Werte, Normen und (Handlungs-)Prinzipien verschiedener „spiritueller Traditionen“ (oder Geistestraditionen) auf der Welt für eine gemeinsame globale Ethik haben. Auf Basis so einer globalen Ethik sollten Probleme induziert durch Überbevölkerung, Industrialisierung, Umweltverschmutzung und Ressourcenknappheit angegangen werden. Wie kann man eine gesunde Lebensweise für alle etablieren, den Menschen Unterkunft, medizinische Grundversorgung und ausreichend und gute Nahrung gewährleisten, und schonender mit der Umwelt umgehen? Nachhaltige Entwicklung befasst sich auch mit diesen Fragen. Liu Shuxian hat allerdings auf Chinesisch publiziert, nicht viel ist übersetzt, und man findet seine Werke eher den Fachrichtungen Religion und Philosophie zugeordnet. Kurzum, ich würde gerne lernen, wie man Interdisziplinarität in der Wissenschaft und der Wissensbildung besser voranbringen kann, wie man die Potenziale von Bereich A für Bereich B gut vermitteln und wirksam werden lassen kann. Damit man die Zukunft zusammenhängender gestalten kann.

Frage 4: Wo befindet sich Ihr Lieblings-Lernort und warum können Sie dort so gut lernen?

Sandra Gilgan: Zu Hause in meinem Lesesessel oder im Wald. Im Sessel habe ich Ruhe und Raum, um Neues aufzunehmen. Unter Bäumen in Bewegung kommen die Ideen mehr in Bewegung und ich bin kreativer.

Frage 5: Bitte erzählen Sie uns von Ihrem persönlichen Zukunftsbild: Wie sieht Ihr Alltag 2030 aus?

Sandra Gilgan: 2030 ist ja schon fast übermorgen. Wahrscheinlich werde ich da immer noch gerne in meinem Lesesessel sitzen, mit dem Fahrrad unterwegs sein, mit dem Zug meine Nichte besuchen fahren und mit dem Brotbeutel zum Bäcker gehen. Vielleicht werde ich ja an weniger Autos, weniger Müllstreuseln, mehr spielenden Kindern an vielen grünen (Innenstadt-)Inseln und mehr lächelnden Menschen vorbeigehen. Weil wir erfolgreicher in der Lebensqualität werden.

Website Bonner Allianz für Nachhaltigkeitsforschung

Die Interviewfragen stellte Kathrin Rosi Würtz im März 2022.