Menü öffnen

Eine Handvoll Fragen an: Gregor Hagedorn

Vorab zu Ihrer Person: Wer sind Sie und was machen Sie beruflich?

Gregor Hagedorn: Ich arbeite als Wissenschaftler am Museum für Naturkunde in Berlin. Ich komme aus der Biodiversitätsforschung und habe vor allem im Bereich der Koordination nationaler und internationaler digitaler Forschungsinfrastrukturen gearbeitet. Ich frage mich seit Jahren, wie die Menschheit die komplexe Nachhaltigkeitskrise – einschließlich z.B. der Friedenssicherung, Biodiversitäts- und Klimakrise – bewältigen kann.

Frage 1: Was bedeutet der Klimawandel für Sie persönlich?

Gregor Hagedorn: Ganz persönlich bedeutet der Klimawandel für mich eine Versagensgeschichte meiner Generation. Auch wenn ich, wie die meisten, nur eine kleine Verantwortung hatte: Als Team haben wir versagt und hinterlassen unseren Kindern ein schweres Erbe. Dabei steht für mich nicht die Schuldfrage im Zentrum – die Schuldzuschreibungen überlasse ich gerne den Historiker:innen. Es geht um die Zukunft und darum, dass wir jetzt umkehren und das Steuer herumreissen. Ich kann gut damit umgehen, dass ich sterben werde. Aber es würde mir leichter fallen, wenn meine Generation die Übergabe der Verantwortung mit Stolz statt mit Scham vornehmen könnte.

Den Klimawandel, die Erderhitzung, sehe ich als einen Teil vielfältiger und miteinander verbundener Nachhaltigkeits- und Gerechtigkeitskrisen. Es ist vor allem die Gesamtheit und unser verantwortungsloser Umgang damit, der mich bedrückt. Zu diesen Krisen gehören Artensterben, Bodendegradation, Akkumulation von toxischen Chemikalien und Kunststoffen ebenso wie z.B. die unfaire Verteilung von Nahrung, Wohlstand, Gesundheit und Bildung in und zwischen den Ländern. Und letztlich erhöhen alle diese Krisen die Wahrscheinlichkeit von Kriegen und Bürgerkriegen.

Wir leben wie der verlorene Sohn, der sein Erbe verschleudert, genießen unseren Hyperkonsum als gäbe es kein Morgen. Dabei ist das Morgen die Zeit unserer Kinder. Wir haben im Grundgesetz eine schwarze Null für virtuelle Finanzwerte eingeführt und leben bezüglich wirklicher Werte wie der Sicherung unserer Lebensgrundlagen auf Pump tief in den roten Zahlen.

Frage 2: Wie engagieren Sie sich für das Klima bzw. gegen den Klimawandel?

Gregor Hagedorn: Ich forsche zu möglichen Lösungen und versuche das für politische Entscheidungen nötige Wissen mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Dazu halte ich z.B. Vorträge in Schulen oder bei Bildungsveranstaltungen, koordiniere eine Grafik- und Foliensammlung für Schüler:innen, Student:innen und Wissenschaftler:innen, die eigene Vorträge halten (https://files.scientists4future.org/) und arbeite in dem Projekt „Zukunftsbilder.net“, in dem wir knappe Beschreibungen von möglichen Zukünften erarbeiten. Außerdem bin ich als Mitgründer der Scientists for Future aktiv. Das ist eine Graswurzelbewegung von Wissenschaftler:innen, die sich für mehr wissenschaftlich fundierte Informationen über die Risiken der Klimakrise einsetzt. Gleichzeitig zeigen wir Möglichkeiten auf, die Klimakrise ebenso wie die anderen Krisen durch die Gestaltung einer nachhaltigen Lebensweise zu beeinflussen.

Frage 3: Was und wie würden Sie gerne lernen, um Ihre Zukunft gestalten zu können?

Gregor Hagedorn: Zum Beispiel mehr Moderationstechniken und Konfliktpsychologie.

Frage 4: Wo befindet sich Ihr Lieblings-Lernort und warum können Sie dort so gut lernen?

Gregor Hagedorn: Es ist eher die Abwechslung, die mir manchmal beim Lernen und kreativen Denken hilft. Im Sommer suche ich z.B. gerne draußen neue, schattige Plätze, an denen ich mit dem Notebook arbeiten kann.

Frage 5: Bitte erzählen Sie uns von Ihrem persönlichen Zukunftsbild: Wie sieht Ihr Alltag 2030 aus?

Gregor Hagedorn: Im Jahr 2030 hat sich mein Leben bereits deutlich verändert. Nach anstrengenden Jahren, die wir nur geschafft haben, weil wir uns gegenseitig gestützt und die Lasten gerecht verteilt haben, haben wir ungefähr die Hälfte des Weges zu einer nachhaltigen Welt geschafft. Ich selbst kann überwiegend im Homeoffice arbeiten – wir arbeiten ja ohnehin überwiegend in transnationalen Teams. Wenn ich zu Veranstaltungen oder privaten Unternehmungen fahre, geht das sehr gut mit Fahrrad und Bahn: dank einer konsequenten Verkehrspolitik fast immer pünktlich, dank Null-Verkehrstoten-Strategie ohne Ängste auf den Radwegen und – seitdem wir endlich im Hof des Mietshauses unsere Lasten- und Elektroräder geschützt abstellen können – auch viel bequemer.

Das Berliner Fernwärmenetz wird im kommenden Jahr zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben. Der größte Teil der Wärme kommt aus Umweltwärme, welche mit Großwärmepumpen angehoben wird. Im Keller ist zudem ein großer Wärmespeicher für die Verbrauchsspitzen. Wir arbeiten als Nachbarn mehr zusammen und helfen uns z.B. bei Transporten oder mit Geräten, die nicht jede Familie besitzen muss. Auf dem Dach des Mietshauses durften wir Mieter:innen vor vier Jahren endlich eine großflächige Fotovoltaikanlage einrichten.

Die Reform der Landwirtschaft, welche für Arten-, Klima- und Bodenschutz unbedingt nötig war, hat unsere Ernährung verändert. Die neue Landwirtschaft kümmert sich sowohl um Produktionsaufgaben als auch um gesellschaftliche Aufgaben wie Artenschutz, Bodenschutz und Speicherung von Kohlenstoff im Boden (um einen kleinen Teil der Emission zu kompensieren). Die landwirtschaftlichen Subventionen, die bis 2022 noch überwiegend klima- und biodiversitätsschädigend waren, wurden hierzu komplett umgeschichtet. Fleisch gibt es weiter zu kaufen, aber es ist wird jetzt unsubventioniert zu den realen Preisen, inkl. der Klima- und Naturschädigung verkauft und wird seltener gegessen. Dafür gibt es mehr günstige, gesunde, klima- und naturschonende Nahrung.

Auch beim Einkaufen hat sich vieles geändert. Egal ob im Geschäft oder im Versand: Dank der Null-Abfall-Strategie gibt es inzwischen standardisierte Mehrwegverpackungen für fast alle Zwecke. Und das Schönste ist: Man muss auf keine Nachhaltigkeitssiegel mehr achten. Manches, wie z.B. die schädlichen PFAS-Imprägnierungen wurden konsequent verboten, in den meisten Fällen zeigt aber der Preis recht zuverlässig den ökologischen Fußabdruck an. Und zwar nicht mehr als „je nachhaltiger desto teurer“, sondern als „je schädlicher, desto teurer“. Dies gilt dank der Lieferkettengesetze sowohl für soziale als auch ökologische Nachhaltigkeit. Und dank einer konsequenten Reform des Welthandels leidet unsere Wirtschaft nicht darunter, sondern kann unter den neuen Bedingungen gut operieren.

Bin ich selbst reicher geworden? Finanziell und materiell nicht. Meine Familie gehörte immer zu den reicheren Deutschlands und unser Anteil am Lastenausgleich ist durchaus spürbar. Geht es mir besser? Auf jeden Fall. Ob es um medizinische Versorgung, gute Versorgung im Alter, Bildung für unsere Kinder, Verkehrsinfrastrukturen oder verringerte Kriegsgefahren geht: Jeden Euro, den wir in die Gemeinschaft investieren, bekommen wir als Verbesserung unserer Lebensqualität zurück.

Die Interviewfragen stellte Kathrin Rosi Würtz im April 2022.